Die Sache mit den dummen Sprüchen

»Du darfst nicht weglaufen!« bedeutete für mich lange Zeit auch, Verantwortung zu übernehmen für das Fehlverhalten anderer. Selbstverständlich die Konsequenzen zu tragen, wenn mir dadurch Nachteile entstanden sind. Denn ich trug quasi immer eine Mitschuld, wenn etwas schief lief. Vermutlich trug der Erziehungsstil meiner Eltern zu einer Manifestierung bei. Ein Ereignis alleine kann ein solches Verhalten sicher nicht erklären. Denn dieses »Du darfst nicht weglaufen!« war ein dummer Spruch der mir von einer dummen Frau gesetzt wurde, um ihr eigenes Versagen, ihre Unfähigkeit auf mich abzuwälzen.

Dieser komischen Logik folgend, sollte ich auch Mitschuld an meinem Menière Desaster tragen. Wie ich oben schon ausführte: »Leider sind die genaueren Hintergründe dieser Erkrankung immer noch nicht bekannt, dementsprechend ist es schwierig, eine gezielte Behandlung durchzuführen.« und: »Vermutet wird jedoch, dass Auslöser der Schwindelanfälle und auch die Ursache der Schwerhörigkeit, eine pathologische Druckerhöhung der Innenohrflüssigkeit ist.«

Die Hintergründe sind nicht bekannt, es wird vermutet, dass …

Morbus Menière gilt als unheilbare Erkrankung. Trotzdem gelingt es immer wieder, sei es in den Medien, in Publikationen oder auch dem unwissende Umfeld, einem Erkrankten Schuldgefühle zu implizieren. Auch das Katalogisieren, das zuordnen von bestimmten Charaktereigenschaften und Lebenseinstellungen, als besonders typisch für einen Erkrankten, muss ich als fast verantwortungslos bezeichnen. MM ist eine Erkrankung, kein neues Sternzeichen!

Ebenso Aussagen wie: »Sie haben Menière? Das ist nicht schlimm!« oder: »Morbus Menière ist zwar selten, kann aber recht gut behandelt werden.« Die beiden Sätze habe ich im Original übernommen. Letzterer geistert im Moment durch das Netz und erscheint mir, als sei er von einem Lohnschreiber verfasst, der wenig Ahnung hat und keine Recherchezeit bezahlt bekommt. Denn das dem nicht so ist, beweisen die verzweifelten Hilferufe Betroffener oder ihrer Angehörigen in einschlägigen Foren. Solche platten Äußerungen wirken auf mich wie Verhöhnung. Und sie lassen unbedarfte Leser in eine Denkfalle tappen: Es ist alles nicht so schlimm, es gibt genug Mittel die helfen können. Und die gibt es eben nicht. Denn: Die Hintergründe sind nicht bekannt, es wird vermutet, dass ...

Wenn alles so einfach wäre, wenn die Schulmedizin tatsächlich einfach und schnell Linderung verschaffen kann, vielleicht »mit einer einfachen Injektion Medikamente in das Mittelohr gegeben werden, … «, (ob damit Gentamicyn gemeint ist?) dann frage ich mich, warum Ärzte und Pflegepersonal hilflos am Bett eines Betroffenen stehen und warten, bis der Anfall vorbei ist? Ein Anfall quasi unter ärztlicher Aufsicht zu erdulden ist?

Betrachten wir uns nur folgende Personen: den Machtmenschen Julius Caesar, den cholerischen Reformer Martin Luther und den sensiblen und kreativen Vincent van Gogh. Es mag durchaus sein, dass bei diesen drei Personen irgendwo ein gemeinsamer Nenner zu finden ist. Den zu suchen, dürfte müßig werden. Und doch wurden diese Männer durch den Menière geprägt. Jeder auf seine Art. Wer sich mit dem Leben und Wirken dieser drei Männer beschäftigen will oder muss, sollte das unter Berücksichtigung des besonderen Krankheitsbildes machen.

Ohne auf irgendwelche Langzeitstudien zurückgreifen zu können wage ich die Behauptung, dass ein Erkranken an MM unabhängig von der Geburtsstunde und Ort, des sozialen Umfeldes, der Religionszugehörigkeit oder des Geschlechtes erfolgen kann. Der Biorhythmus hat auch keinen Einfluss auf die Anfälle, das kann ich behaupten, denn ich habe über einen längeren Zeitraum darüber Buch geführt.

Diese Argumentation darf aber einer kritischen Selbstbetrachtung nicht im Wege stehen. Das habe ich in einem Text auch zum Ausdruck gebracht:

ein freund sagte mir

dass ich mir den menière

als krankheit selbst gesucht habe

oder besser

dass diese krankheit zu mir passt

wie keine andere

 

weil ich nie

aus dem gleichgewicht geraten will

immer festen boden

unter meinen füßen brauche

mit beiden beinen

fest im leben stehen

und auf gar keinen fall

egal in welcher situation

die haltung verlieren will

Vermutlich dürfte eine solche Analyse auf viele Menschen zutreffen, von denen die meisten, ebenfalls vermutlich, nicht an MM leiden.

Wie gehe ich also heute mit dummen Sprüchen aller Art um? Dafür habe ich mir eine ganz einfache Strategie überlegt: ich setze einfach einen dummen Spruch dagegen. Den habe ich einen richtig harten Motorradtypen sagen hören und ich schwöre, dass er nicht mich damit meinte: »Wenn du keine Ahnung hast, halte doch einfach die Klappe!«




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