»Du darfst keine Angst zeigen!«

Angst war mein Thema. Darum habe ich diesem dummen Spruch sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. Habe mir wieder die kleine Sylvie in Erinnerung gerufen und mit ihr die Situation mit dem Schäferhund. Dem Kind, dem auferlegt wurde, keine Angst zu zeigen in einer bestimmt lebensbedrohlichen Lage. In einer Kampf oder Flucht Situation, in der das Gehirn die schlagartige Freisetzung von Adrenalin veranlasst. In der Herzschlag, die Körperkraft und die Atmungsfrequenz erhöht sind. Und in der noch etwas geschieht, etwas was der Mensch nur bedingt wahrnehmen kann: in der Angstschweiß ausbricht. Keine Angst zu zeigen bedeutet nicht, keine Angst zu haben.

Die erwachsene Sylvia wusste längst, dass viele Tierarten über wesentlich besser funktionierende Riechorgane verfügen als Menschen. Sie können die Angst der Menschen riechen. Das hat dem Schäferhund das Gefühl der Überlegenheit gegeben. Das konnte die kleine Sylvie nicht wissen. Es tat mir gut, das innere Kind in mir zu trösten.

Diese Überlegung brachte mich dazu, die Tiere, die mich umgaben, zu beobachten. Mir auch das Verhalten in der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen. Wie haben sich meine Tiere verhalten, wenn ich einen Anfall hatte? Sie müssen meinen Angstschweiß gerochen haben, reagierten aber nicht mit Überlegenheit. Deutlich konnte ich mich erinnern, dass ich in der ganz schlimmen Zeit, als die Anfälle in immer kürzeren Abständen kamen, meinen Hund spürte. Und auch die Katze. Sie haben in meinem Bett gelegen und mir den Rücken gestärkt. Im wahrsten Sinn des Wortes.

Das taten sie auch in der aktuellen Situation. Der Hund wollte mir nicht von der Seite weichen. Wenn ich ins Bett ging, platzierten sich auch die Katzen um mich herum, als wollten sie mich beschützen, mir Sicherheit geben. Mir das bewusst zu machen, war ein richtiges Aha-Erlebnis. Ich roch in mich hinein. Tatsächlich war mir aufgefallen, dass mich ein merkwürdiger Duft umgab, ein störender Duft. Vor diesem Gedankengang war er mir auch schon aufgefallen. Auf dem Zenit meines Burnouts empfand ich diesen Geruch als unerträglich, ich konnte mich selbst nicht mehr riechen, befand, dass ich stinken würde. Er ließ sich nicht abwaschen. War wie eine Grundnote, die selbst ein Deo oder Parfüm noch überlagerte. Merkwürdigerweise wurde dieser Geruch nicht von anderen Menschen wahrgenommen.

Es war völlig logisch, dass sich mein aktueller Seelenzustand auf biochemische Prozesse in meinem Körper auswirkte. Mir ging es langsam von Tag zu Tag besser. So konnte ich mich auch entsprechend beobachten und mich in Alltagssituationen auch beschnüffeln. Die Phasen der Angst nahmen ab. Wenn sie kamen, achtete ich auf meinen Geruch. In der Tat veränderte er sich. So beschloss ich, dass ich meinen eigenen Angstschweiß riechen konnte.




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