»Keinen Bock und keine Ziege« Die sozialen Kontakte

Meinen MM begleitete ein zunehmender Hörverlust. Auf der linken Seite war ich ertaubt. Die rechte Seite bereitete mir zunehmend Sorgen. Es war und ist nicht nur so, dass ich schlecht höre. Mir ist die Fähigkeit abhanden gekommen, Geräusche räumlich zuzuordnen. Auch, Geräusche zu filtern. Was in der Praxis bedeutete, dass ich einer Kakophonie begegne, sobald ich mit mehr als einer Geräuschquelle konfrontiert wurde und werde. So gerne wie ich in früheren Zeiten Tanzen gegangen bin, so unerträglicher wurden diese Momente für mich, weil ich nur noch schmerzhaften Krach empfangen habe.

Der Burnout sorgte dafür, dass ich mich noch weiter zurückzog. Meine sozialen Beziehungen litten. Wobei mir die Therapie Denkanstöße lieferte, die Qualität meiner Kontakte genauer unter die Lupe zu nehmen. Es gab eine Phase, da wachte ich morgens auf, schaffte es zu frühstücken, zu duschen und mich anzuziehen, um mich im Anschluss daran, völlig erschöpft wieder hinzulegen. Vermutlich wird das nur jemand nachvollziehen können, den es auch schon einmal so eiskalt erwischt hat.

In einer solchen Situation eine Einladung zu erhalten, kann natürlich auch einen positiven Anstoß geben. Meine Anwesenheit bei einem Kaffeekränzchen war zwingend erforderlich. Mir war klar, dass ich meinen Zustand nicht verbessere, wenn ich in meinen vier Wänden verharre. Aber ich konnte wirklich nicht, weder physisch noch psychisch. Was ich aber überhaupt nicht gebrauchen konnte, war der Kommentar auf meine Absage: »Dass du immer deine Krankheit vorschiebst!«

Wieder ein dummer Spruch. Aber er hatte etwas für sich. Er zeigte mir auf, wie sich in einer Lebensphase, in der ich, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr »mithalten« konnte, automatisch die Spreu vom Weizen trennte. Ein Text, den ich vor Zeiten über eine andere Person verfasst hatte, bekam plötzlich auch für mich Anwendung:

 

da dachte ich

ich hätte freunde

freunde fürs leben

in guten zeiten

 

und in schlechten zeiten

wurde mir klar

dass ich mir

einen hofstaat gehalten habe

 

in schlechten zeiten stehen dir

nur die guten freunde bei

 

du hattest noch nicht

so schlechte zeiten wie ich

ich weiß wer mein freund ist

du nicht

 

aber ich sehe wie schlecht es

deiner seele geht

und du

hältst weiter hof

 

wie einsam dich

dein hofstaat macht

Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass dieser Prozess der Loslösung von »meinem« Hofstaat nicht schmerzhaft für mich war. Auch musste ich darauf achten, dass er mich nicht verbittert zurückließ. Es kam in dieser Zeit noch ein weiteres Ereignis dazu, eigentlich hätte ich das als eine banale Begebenheit werten können. Aber es wurde für mich zum Schlüsselerlebnis, hatte einen Aha-Effekt. Um was es genau ging, weiß ich nicht mehr. Es war ein Dialog, bei dem ich äußerte: »Habe ich einen Zettel an der Stirn auf dem steht: Ich bin doof?« Mein Gegenüber lachte und antwortete: »Man muss nur wissen, wie du funktionierst, dann ist das ganz einfach mit dir!«

Aus meinem Grundverständnis heraus betrachtete ich die Menschen, denen ich bislang begegnet war, mit einer eher naiven Einstellung. Eine Analyse bestimmter Begegnungen ließen mich aber zu der Erkenntnis gelangen, dass ich in der Vergangenheit einer bestimmten Gruppierung meine größten Probleme zu verdanken hatte: den Scannern. Menschen, die ihre Gegenüber abscannen, weil sie wissen wollen, wie diese funktionieren. Um dann dieses Wissen in gezielten Manipulationen anzuwenden. Das ist, in kurzen Sätzen, das Ergebnis meiner Überlegungen. So nahm ich mir fest vor, ein Augenmerk darauf zu richten und Scannern keine Nahrung mehr zu bieten, aus reinem Selbstschutz heraus.

Dieser Satz brachte aber noch eine weitere Erkenntnis für mich. Wenn es den Scannern in meinem Leben gelungen ist, mich zum funktionieren zu bringen, dann könnte das ja auch eine Strategie meines Feindes Menière sein!

Das Angebot meiner Ärzte, dieser Krise mit Medikamenten zu begegnen, habe ich abgelehnt. In einer kurzen Zeit vor der Gentamycintherapie wurde ja mit verschiedenen Präparaten experimentiert. Diese hatten keinen Erfolg gebracht, aber meinen Körper belastet. Auch die ohrtoxische Substanz Gentamycin hatte Nebenwirkungen, die ich noch Tage später spüren konnte. Im Schulterbereich, bis hin zu Oberarmen und Zwischenrippenmuskeln verspürte ich eine Art Muskelkater. Ich wollte mich wiederfinden, nicht mich noch mehr verlieren. Das war eine gute und richtige Entscheidung, wenn ich sie im Nachhinein noch werten will.

Meine Verhaltenstherapie hatte ich abgeschlossen. Trotzdem fühlte ich, dass ich noch Zeit brauchte. Es gab ja keine Heilung, kein Wiederherstellen des ganz alten Gesundheitszustandes. Nur ein Arrangieren mit dem, was mir geblieben war. Dazu gehörte auch die Angst, die war mir noch geblieben. Sie hatte zwar nicht mehr diese Macht über mich, bestimmte nicht mehr mein Leben, war aber latent vorhanden. Es war ein Gefühl, das sich über Jahrzehnte manifestieren konnte. Es wäre vermessen von mir gewesen, wenn ich erwartet hätte, es nach ein paar Therapiestunden und Selbstreflektion sie so einfach ablegen zu können, wie eine abgetragene Jacke.




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