»Keinen Bock und keine Ziege« Die sozialen Kontakte
Der Burnout sorgte dafür, dass ich mich noch weiter zurückzog. Meine sozialen Beziehungen litten. Wobei mir die Therapie Denkanstöße lieferte, die Qualität meiner Kontakte genauer unter die Lupe zu nehmen. Es gab eine Phase, da wachte ich morgens auf, schaffte es zu frühstücken, zu duschen und mich anzuziehen, um mich im Anschluss daran, völlig erschöpft wieder hinzulegen. Vermutlich wird das nur jemand nachvollziehen können, den es auch schon einmal so eiskalt erwischt hat.
In einer solchen Situation eine Einladung zu erhalten, kann natürlich auch einen positiven Anstoß geben. Meine Anwesenheit bei einem Kaffeekränzchen war zwingend erforderlich. Mir war klar, dass ich meinen Zustand nicht verbessere, wenn ich in meinen vier Wänden verharre. Aber ich konnte wirklich nicht, weder physisch noch psychisch. Was ich aber überhaupt nicht gebrauchen konnte, war der Kommentar auf meine Absage: »Dass du immer deine Krankheit vorschiebst!«
Wieder ein dummer Spruch. Aber er hatte etwas für sich. Er
zeigte mir auf, wie sich in einer Lebensphase, in der ich, aus welchen Gründen
auch immer, nicht mehr »mithalten« konnte, automatisch die Spreu vom Weizen
trennte. Ein Text, den ich vor Zeiten über eine andere Person verfasst hatte,
bekam plötzlich auch für mich Anwendung:
da dachte ich
ich hätte freunde
freunde fürs leben
in guten zeiten
und in schlechten zeiten
wurde mir klar
dass ich mir
einen hofstaat gehalten habe
in schlechten zeiten stehen dir
nur die guten freunde bei
du hattest noch nicht
so schlechte zeiten wie ich
ich weiß wer mein freund ist
du nicht
aber ich sehe wie schlecht es
deiner seele geht
und du
hältst weiter hof
wie einsam dich
dein hofstaat macht
Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass dieser Prozess der Loslösung von »meinem« Hofstaat nicht schmerzhaft für mich war. Auch musste ich darauf achten, dass er mich nicht verbittert zurückließ. Es kam in dieser Zeit noch ein weiteres Ereignis dazu, eigentlich hätte ich das als eine banale Begebenheit werten können. Aber es wurde für mich zum Schlüsselerlebnis, hatte einen Aha-Effekt. Um was es genau ging, weiß ich nicht mehr. Es war ein Dialog, bei dem ich äußerte: »Habe ich einen Zettel an der Stirn auf dem steht: Ich bin doof?« Mein Gegenüber lachte und antwortete: »Man muss nur wissen, wie du funktionierst, dann ist das ganz einfach mit dir!«
Aus meinem Grundverständnis heraus betrachtete ich die Menschen, denen ich bislang begegnet war, mit einer eher naiven Einstellung. Eine Analyse bestimmter Begegnungen ließen mich aber zu der Erkenntnis gelangen, dass ich in der Vergangenheit einer bestimmten Gruppierung meine größten Probleme zu verdanken hatte: den Scannern. Menschen, die ihre Gegenüber abscannen, weil sie wissen wollen, wie diese funktionieren. Um dann dieses Wissen in gezielten Manipulationen anzuwenden. Das ist, in kurzen Sätzen, das Ergebnis meiner Überlegungen. So nahm ich mir fest vor, ein Augenmerk darauf zu richten und Scannern keine Nahrung mehr zu bieten, aus reinem Selbstschutz heraus.
Dieser Satz brachte aber noch eine weitere Erkenntnis für mich. Wenn es den Scannern in meinem Leben gelungen ist, mich zum funktionieren zu bringen, dann könnte das ja auch eine Strategie meines Feindes Menière sein!
Das Angebot meiner Ärzte, dieser Krise mit Medikamenten zu begegnen, habe ich abgelehnt. In einer kurzen Zeit vor der Gentamycintherapie wurde ja mit verschiedenen Präparaten experimentiert. Diese hatten keinen Erfolg gebracht, aber meinen Körper belastet. Auch die ohrtoxische Substanz Gentamycin hatte Nebenwirkungen, die ich noch Tage später spüren konnte. Im Schulterbereich, bis hin zu Oberarmen und Zwischenrippenmuskeln verspürte ich eine Art Muskelkater. Ich wollte mich wiederfinden, nicht mich noch mehr verlieren. Das war eine gute und richtige Entscheidung, wenn ich sie im Nachhinein noch werten will.
Meine Verhaltenstherapie hatte ich abgeschlossen. Trotzdem
fühlte ich, dass ich noch Zeit brauchte. Es gab ja keine Heilung, kein
Wiederherstellen des ganz alten Gesundheitszustandes. Nur ein Arrangieren mit
dem, was mir geblieben war. Dazu gehörte auch die Angst, die war mir noch
geblieben. Sie hatte zwar nicht mehr diese Macht über mich, bestimmte nicht
mehr mein Leben, war aber latent vorhanden. Es war ein Gefühl, das sich über
Jahrzehnte manifestieren konnte. Es wäre vermessen von mir gewesen, wenn ich
erwartet hätte, es nach ein paar Therapiestunden und Selbstreflektion sie so
einfach ablegen zu können, wie eine abgetragene Jacke.